Amtsgericht Göttingen: SIM-Lock entfernen ist strafbar

Nach dem AG Nürtingen hat nun auch das Amtsgericht Göttingen (62 DS 106/11) festgestellt, dass das Entfernen eines SIM-Lock eine Strafbarkeit, nämlich wegen Fälschung beweiserheblicher Daten (§269 StGB) sowie Datenveränderung (§303a StGB) darstellt. Laut ersten Presseberichten ist das Thema damit aber erst der Auftakt, der Strafverteidiger hat wohl angekündigt, die nächste Instanz zu beschreiten.

Das Thema bleibt spannend, speziell da inzwischen das Entfernen des SIM-Locks ein finanzstarker Markt geworden ist: In Fällen wie den hier verhandelten bietet jemand gegen Bezahlung die Entfernung von SIM-Locks an. Es geht also nicht um den Privatnutzer, der auf Grund einer Anleitung aus dem Internet selber entsperrt, sondern um das gewerbliche Handeln, auch wenn es materiell-rechtlich keinen Unterschied im Rahmen der §§269, 303a StGB darstellt warum man den SIM-Lock entfernt.

Hinweise: Es gibt auch andere Entscheidungen dieser Art. So erwirkte die Staatsanwaltschaft Augsburg einen Strafbefehl gegen eine Privatperson, die einen SIM-Lock entfernte. Der BGH stellte in einem zivilrechtlichen Verfahren (I ZR 13/02) fest, dass ein Handyhersteller Unterlassungsansprüche gegen jemanden hat, der eigenmächtig entsperrte Handys veräußern möchte, da eine Markenverletzung vorliegt (so auch OLG Frankfurt a.M., 6 U 68/01). Neben den oben benannten Normen des StGB sind immer auch markenrechtliche sowie urheberrechtliche Ansprüche zu bedenken, die nicht nur zivilrechtliche sondern mitunter auch strafrechtliche Folgen haben können. Dabei hat der BGH bereits klar gestellt, dass man sich weder auf eine Erschöpfung nach §24 MarkenG, noch auf eine Fehlerberichtigung nach §69d UrhG berufen kann (BGH, I ZR 255/02).

Analyse: Amtsgericht Göttingen zur Strafbarkeit des SIM-Lock-Entfernens

Die Entscheidung ist mit 14 Seiten überraschend umfangreich und liegt mir zudem nicht vollständig anonymisiert vor. Der Arbeitsaufwand zur Anonymisierung ist relativ aufwändig, daher verzögert sich die Veröffentlichung hier auf der Seite. Wie bei mir üblich, werde ich kurz nach Veröffentlichung dieses Artikels die Entscheidung dem Projekt OpenJur.de zustellen, damit es für die Allgemeinheit erfasst wird. Zugleich ist dies als Aufruf an Kollegen zu verstehen, ähnlich mit interessanten Entscheidungen zu verfahren.

Update: Die Entscheidung ist hier im Volltext zu finden.

Die Entscheidung des Amtsgerichts bietet durchaus einige Überraschungen, die auf Grund der bisher bekannten Pressemeldungen noch nicht im Fokus standen. Im Kern lag, wie berichtet, eine Verurteilung wegen Fälschung beweiserheblicher Daten (§269 StGB) sowie Datenveränderung (§303a StGB) vor. Hinsichtlich dieser – seit dem AG Nürtingen bekannte – Thematik verweise ich erst einmal auf meine bisherige Analyse und gehe im Folgenden nur auf das ein, was m.E. wesentlich von den bisherigen Überlegungen abweicht.

Zuerst einmal ist festzustellen, dass das AG Göttingen einen interessanten Weg geht, bei der Frage, was „Daten“ sind. Zurückgegriffen wird hier nicht auf Standardliteratur, sondern auf die DIN 44.300 Nr.19, nach der Daten wie folgt definiert werden:

Zeichen oder kontinuierliche Funktionen, die auf Grund bekannter oder unterstellter Abmachungen, vorrangig zum Zweck der Verarbeitung, Informationen darstellen.

Das ist im Ergebnis nichts anderes als die Definition, die man in jeder Standardliteratur nachlesen kann (etwa SK-Rudolphi, §202a, Rn.3). Umso mehr überrascht es, dass dieser Umweg gegangen wird. Insofern ist es weiterhin nicht überraschend, dass ein „SIM-Lock“ problemlos als Datum in Sinne des StGB verstanden wird.

Problematisch finde ich bereits die Feststellung des Amtsgerichts:

Der SIM-Lock stellt eine vom Netzbetreiber implementierte Sperre gegen die Nutzung des subventioniert vertriebenen Handys dar […]

Das ist m.E. so nicht korrekt und verlangt eine saubere Analyse, auch wenn sich erst einmal im Ergebnis wohl nichts verändern wird: Die Möglichkeit eines SIM-Locks wird nicht vom Netzbetreiber implementiert, sondern vom Handy-Hersteller, der die Option in der Firmware vorsieht. Diese Möglichkeit wiederum wird später vom Handy-Provider genutzt, indem er sie aktiviert. Bei dieser Betrachtung werden zwei Dinge deutlich: Zum einen kann es möglich sein, dass derjenige, der ohne Genehmigung einen SIM-Lock entfernt, in die Rechte von zwei Betroffenen – nämlich Handyhersteller und Provider – eingreift. Zum anderen muss gesehen werden, dass bei einer Deaktivierung eines vorhandenen SIM-Locks nur die vom Provider genutzte Option wieder deaktiviert wird, wobei zu fragen ist, wie hier die Berechtigungsverhältnisse sind.

Gerne wird vorgebracht, dass man mit dem Kauf des Handys (der Hardware) „Eigentümer“ wurde und somit „mit dem Handy“ machen kann, was man möchte. Das soll dann auch die Software beinhalten. Das AG Göttingen widmet sich dieser Frage sehr ausführlich:

Zwar kann der Endkunde mit der erworbenen Hardware nach eigenem Gutdünken verfahren. Er darf jedoch nicht modifizierend in die softwarebasierten Funktionen eingreifen. Der SIM-Lock stellt eine in die Steuerungssoftware implementierte Programmroutine dar, deren Ablauf für den Betrieb der Hardware erforderlich ist, ohne dass mit dem Erwerb der Hardware ein uneingeschränktes Recht zur Modifikation der Software verbunden wäre. Berechtigt hierzu ist nur derlenige, der die Verfügungsbefugnis über die Daten innehat.

Die Verfügungsbefugnis über die Daten entsteht mit dem sog. ,,Skripturakt“, mithin der Erschaffung oder auch Erstabspeicherung von Daten. Nach der Erschaffung kann diese Befugnis vom Schöpfer zwar auf andere übertragen werden. Die Eigentumsverhältnisse an den Speichermedien spielen hierfür jedoch gerade keine Rolle (vgl. Fischer StGB §202a Rn.7). Unberechtigt handelt damit derjenige, dem die Daten nach dem Willen des Verfügungsbe- rechtigten zum Zeitpunkt der Tathandlung nicht zur Verfügung stehen sollen (LK- Schünemann StGB §202a Rn.9). Dies ist bei dem hinsichtlich seiner Deaktivierung gerade nicht frei zugänglichen SIM-Lock der Fall.

Mit dem Abschalten des SIM-Lock ist es durch den Austausch der ursprünglichen gegen neue Daten zu einer Bedeutungsverschiebung innerhalb des datenförmig Ausgedrückten gekommen. Diese Änderung ist auch rechtswidrig erfolgt, denn der Angeklagte hat hierbei jedenfalls ohne den Willen des Berechtigten, nämlich des jeweiligen Netzbetreibers, gehandelt.

Im Kern ist das korrekt und erntet hier keinen Widerspruch: Die Trennung zwischen Hard- und Software begegnet keinen Bedenken und ist m.E. sogar zwingend. Allerdings dürfen die vielen Zeilen des AG Göttingen über eines nicht hinweg täuschen: Eine Begründung steht da nicht. Vielmehr wird nur behauptet bzw. festgestellt, dass eine Verfügungsbefugnis über Hardware nicht automatisch mit einer Verfügungsbefugnis über die enthaltene Software einher geht. Dabei wäre das nicht sonderlich schwer festzustellen, etwa indem man darauf abstellt, dass bei immateriellen Gütern entsprechend dem Urheberrechtsgesetz das Urheberrecht immer beim Ersteller verbleibt, der nur Nutzungsrechte einräumen kann. Somit schon ausgeschlossen ist, dass man ein „umfassendes Eigentum“ an der enthaltenen Software begründen kann. Vielmehr können zwingend nur Nutzungsrechte übertragen werden, die ja zudem (dem Urheberrechtsgesetz sei dank) ausdrücklich vereinbar werden müssen. Wer also ein Handy kauft, kann letztlich an der enthaltenen Software nur so viele Nutzungsrechte erwerben, wie im ausdrücklich zugestanden wird. Klauseln zum Decompilieren oder modifizieren des Firmware-Codes wird man da schon eher nicht finden. Dazu kommt, dass beim Kauf subventionierter Handys ausdrücklich eine Klausel vereinbart sein wird, die eine Entfernung des SIM-Locks alleine durch den Provider vorsieht.

Interessant ist am Rande ein spezieller Aspekt: Es geht um die Frage, ob eine Zustimmung nach §69c UrhG angenommen werden kann, was eine strafrechtlich relevante Rechtfertigung wäre. Dabei muss man (bitte Blick nochmal nach oben!) daran denken, dass schon fraglich ist, wer hier überhaupt Urheberrechte hat an einem installierten „SIM-Lock“: Nach meinem Verständnis kann diese Frage nur den Hersteller der Firmware insgesamt berühren, nicht den Provider, der die vorhandene Option nur noch aktiviert. Dass das AG diese Frage mit Blick auf den Provider thematisiert ist zwar für den Angeklagten relativ günstig, aber m.E. falsch.

Jedenfalls wird die Frage aufgeworfen hinsichtlich Handys, die zwar noch einen SIM-Lock aktiviert hatten, deren Vertragslaufzeit aber abgelaufen war. Das Gericht hatte sich hier schon vorher geholfen, indem man hinsichtlich dieser Telefone die Verfahren kurzerhand eingestellt hat. Dennoch stellt es dann beiläufig dazu fest:

Soweit der Angeklagte sich dahin eingelassen hat, dass er von einer zustimmung der Rechteinhaber zum Abschalten des slM-Lock jedenfalls in den Fällen ausgegangen sei, in denen sich Handys bereits außerhalb der 2-jährigen Vertragsdauer befunden hätten, kann dies zum einen dahinstehen, da nunmehr lediglich Handys innerhalb der 2-jährigen Mindestvertragsdauer Verfahrensgegenstand geblieben sind. lm Übrigen geht das Gericht entgegen den anderslautenden Bekundungen auch davon aus, dass dem Angeklagten bewusst war, dass jedenfalls er selbst zum Abschalten des SIM- Lock auch nach dem Ablauf der Mindestvertragsdauer nicht berechtigt gewesen wäre.

Wenn es „hart auf hart“ kommen würde, wäre das AG Göttingen nämlich der Ansicht, dass auch bei Handys die sich eindeutig ausserhalb der Subventions-Phase befinden, keine „Selbsthilfe“ betrieben werden kann. Allerdings kann das nicht verallgemeinert werden, sondern ist auf den konkreten Fall zugeschnitten. Hier nämlich war eine Entsperrung nur nach Zahlung einer Gebühr von 20 Euro zu erwarten, die durch die Entsperrung ja gerade umgangen wurde. Allerdings stellt das Gericht auch fest, dass es „jeder Lebenserfahrung widerspricht“, anzunehmen, dass das überhaupt mal kostenlos stattfinden würde (mir ist es aber bereits passiert…).

Interessant wird der Umgang mit einer schriftlichen Zusicherung, die sich der Angeklagte geben liess: Er liess sich unterzeichnen, dass die Handys ihren 2jährigen Vertragszeitraum hinter sich haben und diese im Eigentum des Übersenders stehen. Wie man oben sieht, ist das rechtlich ohnehin irrelevant. Aber es könnte vielleicht eine „gutgläubigkeit“ (also einen Irrtum) des Angeklagten darüber bewirken, rechtmässig zu handeln. Das lehnt das Gericht aber ab, denn:

Zum einen liess der Angeklagte sich die SIM-Karte bewusst nicht zusenden, an Hand derer eine Zuordnung des Providers und eine Prüfung der Angaben möglich gewesen wäre. Das sehe ich kritisch, da somit verlangt werden würde, dass man seine SIM-Karte zwingend aus der Hand gibt. Ebenfalls ist es fernab der Lebenswirklichkeit, da gerade oft der Fall auftritt, dass jemand ein gebrauchtes Handy mit SIM-Lock kauft und dieses entsperren möchte, wobei nicht immer nachprüfbar ist, welcher Provider dahinter steht (nicht jedes SIM-Lock-Handy hat auch ein providertypisches Branding).

Hinsichtlich des Fälschens beweiserheblicher Daten hatte ich schon beim AG Nürtingen angemerkt:

Sofern das Gericht im hier angesprochenen Urteil aber auch eine Strafbarkeit nach §269 StGB annimmt, möchte ich Skepsis anmerken. Jedenfalls erkenne ich nicht ohne fragwürdige gedankliche Kniffe, wo ich in der reinen Sperrung als solcher eine verkörperte Gedankenerklärung sehen will.

Das AG Göttingen versucht zumindest, hier etwas zu bieten und stellt diesbezüglich fest

Durch die Manipulationen, die der Angeklagte mit der Beseitigung der SIM-Lock-Sperren vorgenommen hatte, ist dem EPROM/EEPROM die konkludente Aussage verliehen worden, dass der Benutzer des Telefons dieses in jedem beliebigen Mobilfunknetz betreiben könne, da es (entweder von Beginn an oder aber nach Abschaltung in zulässiger, vom Netzbetreiber regulär vorgesehener Weise) keinen SIM-Lock (mehr) enthalte.

Das ist immerhin ein Argument, aber m.E. verfehlt. Dies schon begrifflich, da die technische Sperrung anderer Netze erst einmal eine nackte Tatsache ist, in die man sicherlich (wie das Gericht hier) viel hinein interpretieren kann, aber letztlich keine Gedankenerklärung sehen muss. Das weiss das AG auch selber, wenn es sich mit einer „konkludenten Gedankenerklärung“ zu helfen versucht, was aber der Kern des Problems ist: Den gewünschten Inhalt könnte man nur dann sehen, wenn neben die Sperrung noch eine weitere Tatsache treten würde. Etwa eine Signatur, die festhält, wer die Sperrung vorgenommen hat. Nur damit liesse sich nämlich auch ausschliessen, dass auf Grund eines Defektes oder durch einen Dritten eine Sperrung vorgenommen wurde.

Nur damit verhindert man nämlich auch das Problem, dass letztlich die Ausstellererkennbarkeit gewahrt ist, die das AG Göttingen hier durchweg ignoriert: Keineswegs ist die Sperre zwingend von einem Provider eingerichtet, auch wenn es sicherlich naheliegend ist. Vielmehr ist vollkommen offen, wer im Einzelfall die angebliche Gedankenerklärung in Form der Sperre verfasst haben soll – dabei muss sich der Aussteller schon aus den Daten selbst ergeben und nicht aus irgendwelchen zugehörigen Ausdrucken oder Informationen (SK-Rudolphi, §269, Rn.21). Somit liegt letztlich gar keine hypothetische Urkunde vor (zur Ausstellererkennbarkeit in diesem Zusammenhang sehr ausführlich SK-Rudolphi, §269, Rn.21ff).

Diese Problematik ist im Ergebnis auch der Grund, warum die Literatur bisher sehr kritisch ist bei der Frage, ob Daten die unmittelbaren Zugang zu Leistungen gewähren, als Gedankenerklärungen anzusehen sind (Fischer, §269 Rn.4 a.E.). Ein Datum für sich ist nicht alleine eine Gedankenerklärung, sondern eine sich selbst erschöpfende Tatsache (Fischer, §267 Rn.10).

Im Ergebnis finden sich in der Entscheidung durchaus kritische Punkte, wobei ich der Strafbarkeit nach §303a StGB nicht widerspreche, auch wenn in den Gründen ein anderer Ansatz wünschenswert wäre. Die Strafbarkeit wegen der Veränderung beweiserheblicher Daten nach §269 StGB lehne ich weiterhin ab und sehe meine bisherige Kritik durch die Argumentation des Gerichts im vorliegenden Fall bestätigt. Dabei muss gesehen werden, dass am §269 StGB letztlich eine nicht unerhebliche Frage bei der Bestimmung des Strafrahmens liegt, speziell wenn man gewerbsmäßig eine solche Dienstleistung anbietet.

Hinweis: Auf Grund eines Versehens wurde mir die Entscheidung nicht vollständig anonymisiert übermittelt. Aus der Entscheidung ergibt sich, dass eine umfassende Kundenliste mit den Daten der Kunden (zumindest Name, Bestellweg und Bestelldatum) bei der Staatsanwaltschaft vorliegen muss. Insofern sollte man abwarten, ob nicht tatsächlich gegen einzelne Kunden auch noch Schritte unternommen werden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT-Recht)

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