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Vertragsverhandlungen: Warum wir über das Falsche sprechen

Wenn Verträge verhandelt werden, geschieht das oft mit einer Mischung aus juristischer Akribie, unternehmerischem Kalkül – und einer ordentlichen Portion Misstrauen. Klauseln über Haftung, Gewährleistung, Schadensersatz und Vertragsstrafen werden Seite um Seite durchgeackert, Formulierungen gefeilt, Rückversicherungen eingebaut. Schließlich will man für den Ernstfall gewappnet sein.

Das Problem ist nur: Der Ernstfall tritt viel seltener ein als der Alltag. Und genau auf diesen Alltag – also auf die erfolgreiche Umsetzung eines Vertrags – sind viele Verträge erstaunlich schlecht vorbereitet, wie eine aktuelle WorldCC-Analyse zeigt.

Die große Verhandlungsschere

Der aktuelle Bericht „Most Negotiated Terms 2024“ des World Commerce & Contracting zeigt eine beunruhigende Diskrepanz: Die meistverhandelten Vertragspunkte (z. B. Haftungsbegrenzungen, Preis, Entschädigungen) sind nicht die Punkte, die im täglichen Geschäft am häufigsten zu Problemen führen. Ebenso wenig sind es die Punkte, die Verhandler für besonders wichtig halten.

Stattdessen sind es ganz banale Dinge wie:

  • Was genau wird geliefert?
  • Wann und wie wird geliefert?
  • Wie wird akzeptiert und bezahlt?
  • Wer ist wofür verantwortlich?

Diese sogenannten „Business Terms“ sind die wahren Risikozonen – aber sie geraten in den Hintergrund, wenn sich Juristen und Einkäufer um Haftungshöchstgrenzen und Versicherungspflichten streiten.

Was in Deutschland besonders zählt

Der Bericht zeigt auch regionale Unterschiede – und gerade im deutschsprachigen Raum zeigt sich ein interessanter Fokus. Nach deutschem bzw. kontinentaleuropäischem Rechtsverständnis sind insbesondere die folgenden Themen relevant:

  • Preis und Preisänderungen stehen an erster Stelle – was wenig überrascht in einer wirtschaftlich volatilen Zeit.
  • Verantwortlichkeiten der Parteien werden hoch gewichtet – ein Hinweis darauf, wie stark man hier auf präzise Zuweisung operativer Pflichten achtet.
  • Die Leistungsbeschreibung (Scope) bleibt zentral, wobei man in der Praxis oft feststellt, dass sie zu unklar bleibt.
  • Auffällig ist: Klauseln wie Haftungsbegrenzung oder Geltendes Recht sind zwar juristisch relevant, aber operativ seltener Auslöser für Streit – dennoch dominieren sie viele Vertragsverhandlungen.

Die Realität in Zahlen: Worüber wir reden – und worüber wir reden sollten

In der Analyse gibt es eine Übersicht zu dem, was am häufigsten verhandelt, am häufigsten umstritten und als besonders wichtig angesehen wird. Die folgende Tabelle zeigt auf, welche Klauseln bei großen Unternehmen tatsächlich im Blick stehen – und im Blick stehen sollten:

RangMeistverhandelte Klauseln (MNT)Meistumstrittene Klauseln (MDT)Wichtigste Klauseln (MIT)
1HaftungsbegrenzungPreis / PreisänderungenLeistungsumfang und Ziele (Scope)
2Preis / PreisänderungenLieferungPreis / Preisänderungen
3Leistungsumfang und Ziele (Scope)Leistungsumfang und Ziele (Scope)Lieferung
4Entschädigungen / FreistellungService LevelsService Levels
5VertragsstrafenRechnungen / ZahlungsverzugZahlungsbedingungen
6Geistiges EigentumZahlungsbedingungenVerantwortlichkeiten der Parteien
7ZahlungsbedingungenVerantwortlichkeiten der ParteienAbnahmebedingungen
8GewährleistungVertragsänderungenProduktspezifikation
9LieferungVertragsstrafenVertragsänderungen
10KündigungGewährleistungHaftungsbegrenzung

Verhandlung als Vertrauensbeweis – oder Vertrauensbruch?

Hier liegt eine grundlegende Fehlsteuerung: Verträge werden häufig nicht mit dem Ziel verhandelt, ein funktionierendes, widerstandsfähiges Geschäftsverhältnis zu schaffen – sondern mit dem Ziel, sich abzusichern. Nicht Kooperation, sondern Konfrontation steht im Vordergrund.

Diese Denkweise ist tief verankert. In gewisser Weise ist sie „rational“: Wer Risiken sieht, will sie absichern. Doch sie ist auch gefährlich. Denn sie übersieht, dass viele Vertragsprobleme nicht aus der Verletzung von Risikoklauseln entstehen – sondern aus Unklarheiten in der täglichen Zusammenarbeit.

Weniger Paranoia, mehr Performance

Vertragsverhandlungen sollten sich daher nicht (nur) um Worst-Case-Szenarien drehen. Sie sollten vor allem klären:

  • Was ist der gemeinsame Erfolg?
  • Was braucht es operativ, damit dieser Erfolg eintritt?
  • Wie gehen wir mit Veränderungen und Unsicherheiten um?

Ein Vertrag ist eben kein Schutzschild gegen die Außenwelt – sondern ein Werkzeug zur Zusammenarbeit. Ein Mittel zur Zielerreichung. Und ja, auch ein Ausdruck von Vertrauen.

Rechtsanwalt Ferner zu Vertragsverhandlungen: Warum wir über das Falsche sprechen

Gerade in unserer Rechtskultur sind die Möglichkeiten, was man begrenzt, sehr eingeschränkt – die Hoffnung, man könnte durch AGB die gesamte Haftung ausschalten, muss beispielsweise sehr früh zerschlagen werden. In gutem Vertragswerk geht es darum, möglichst kurz und klar formuliert weniger einseitig “das Beste” herauszuholen, als auf Augenhöhe Streit zu vermeiden. Kurzum: Der Vertragsrechtler verdient sein Geld nicht damit, viel Papier zu produzieren, sondern unerkannte Klippen vorauszusehen und mit möglichst eindeutigem Text Lösungen für diese zu erschaffen.

Die Führungsebene ist gefragt

Verhandlungsparadigmen ändern sich nicht von allein. Sie ändern sich durch Führung. Das Management muss erkennen, dass Verträge nicht nur juristische Dokumente sind, sondern strategische Steuerungsinstrumente. Das beginnt bei der Verhandlungsplanung – und endet bei der Entscheidung, worauf man sich wirklich fokussiert, wie auch das ManagerMagazin gut herausarbeitet.

Der WorldCC-Bericht bringt es auf den Punkt: Nur 16 % der Verhandler glauben, dass sie über die richtigen Dinge verhandeln. Die anderen 84 %? Die verbringen ihre Zeit mit dem Falschen.

IT-Fachanwalt, Ihr Rechtsanwalt für Softwarerecht bei sämtlichen Fragen rund um die Entwicklung und den Vertrieb von Software im professionellen Umfeld. Dazu auch das LinkedIn-Profil beachten!
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