Open Source Software (OSS) ist längst ein Rückgrat moderner Softwareentwicklung und digitaler Infrastruktur. Unternehmen, Start-ups und Behörden bauen mit Selbstverständlichkeit auf Frameworks, Bibliotheken und Systemkomponenten auf, deren Quellcode öffentlich zugänglich ist. Doch mit der technischen Freiheit geht eine rechtliche Verantwortung einher, die oft unterschätzt wird. Wer Open Source nutzt – sei es zur internen Entwicklung oder in kommerziellen Produkten –, betritt ein komplexes Feld aus Urheberrecht, Lizenzrecht und Vertragsgestaltung.
Im Folgenden geht es mir um einen Überblick über die wichtigsten rechtlichen Aspekte rund um Open Source Software – mit dem Ziel, Entscheidern und Entwicklern Orientierung zu geben und typische Risiken zu vermeiden. Dabei schreibe ich selbst seit Jahrzehnten zu dem Thema.
Der rechtliche Rahmen: Urheberrecht als Fundament
Im deutschen Recht – und in der EU – ist Software urheberrechtlich geschützt. Das betrifft nicht nur „große“ Anwendungen, sondern auch einzelne Code-Snippets, wenn sie eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des § 2 UrhG darstellen. Der Schutz entsteht automatisch mit der Schöpfung – es ist kein Eintrag in ein Register erforderlich. Wer eine Software schreibt, ist Urheber und hat damit umfassende Rechte: Er allein entscheidet über Vervielfältigung, Verbreitung, Bearbeitung und öffentliche Zugänglichmachung.
In der Praxis ist allerdings oft nicht eine einzelne Person der Urheber, sondern ein Team, teils über Jahre hinweg. In Unternehmen tritt zudem das Arbeitsrecht hinzu, denn regelmäßig fallen die Nutzungsrechte gemäß § 69b UrhG dem Arbeitgeber zu. Dennoch bleibt das Urheberpersönlichkeitsrecht beim Entwickler, was die Lizenzierung – etwa unter Open Source Bedingungen – nicht unwesentlich beeinflussen kann.
Was ist „Open Source“ aus rechtlicher Sicht?
Open Source ist kein rechtsfreier Raum. Auch hier bleibt die Software urheberrechtlich geschützt – sie wird lediglich unter besonderen Lizenzbedingungen zur Nutzung freigegeben. Diese Lizenzen unterscheiden sich erheblich, was Rechte und Pflichten betrifft. Entscheidend ist: Open Source bedeutet nicht, dass alles erlaubt ist. Vielmehr handelt es sich um rechtlich bindende Verträge, die genau regeln, was der Nutzer mit dem Code tun darf.
Die bekannteste Familie sind die sogenannten Copyleft-Lizenzen, wie die GNU General Public License (GPL). Diese verpflichten dazu, modifizierte Versionen wiederum als Open Source bereitzustellen. Demgegenüber stehen permissive Lizenzen wie die MIT- oder BSD-Lizenz, die deutlich mehr Freiheit gewähren – etwa die Integration in proprietäre Produkte.
Im juristischen Sinne sind Open Source Lizenzen ein Sonderfall schuldrechtlicher Lizenzverträge. Die große Herausforderung besteht darin, dass viele dieser Lizenzen aus dem US-amerikanischen Recht stammen, aber weltweit verwendet werden. In Deutschland etwa kollidieren bestimmte Klauseln mit zwingendem Urheberrecht – etwa dem Verbot des vollständigen Rechteverzichts. Dennoch hat sich durch richterliche und wissenschaftliche Rezeption eine anerkannte Praxis herausgebildet, die den Kern der Lizenzen rechtlich tragfähig macht.
Risiken bei der Nutzung und Weitergabe
Ein häufig unterschätztes Problem ist die Lizenzkonformität bei der Weiterverbreitung von Open Source Komponenten. Wer beispielsweise eine GPL-lizenzierte Bibliothek in ein eigenes Softwareprodukt integriert und dieses vertreibt, muss selbst unter der GPL lizenzieren – inklusive Offenlegung des Quellcodes. Das sogenannte „Copyleft“ wirkt damit wie eine virale Lizenzpflicht.
Bei permissiven Lizenzen gibt es zwar keine Offenlegungspflicht, aber dennoch klare Vorgaben – etwa zur Nennung der Urheber. Selbst scheinbar harmlose Verstöße, wie das Entfernen von Copyright-Hinweisen, können eine Lizenzverletzung darstellen. In Deutschland droht dann ein Unterlassungsanspruch oder – bei gewerblicher Nutzung – sogar Schadensersatz.
Besonders kritisch wird es, wenn unklar ist, wer eigentlich Urheber des Codes ist. Häufig kursieren Forks oder Bibliotheken, deren Lizenzlage schwer nachvollziehbar ist. Auch automatisierte Tools zur Lizenzanalyse (z. B. in CI/CD-Pipelines) ersetzen keine juristische Bewertung, sondern dienen allenfalls als Frühwarnsystem.
Sonderfragen im Überblick
Unternehmen, die Open Source Software entwickeln oder verwenden, stehen vor der Aufgabe, klare interne Prozesse zu etablieren. Dazu gehört etwa die Regelung, ob Mitarbeitende im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses Open Source Code veröffentlichen dürfen – und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Eine Freigabe-Praxis („Open Source Governance“) hilft, sowohl geistiges Eigentum zu schützen als auch rechtssicher zu handeln.
In Verträgen mit Kunden oder Lieferanten sollte zudem klar geregelt sein, ob und welche Open Source Komponenten verwendet werden – und welche Pflichten daraus resultieren. Die Vermeidung unerwünschter „Copyleft-Kontamination“ wird so zu einer betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit. Gerade im öffentlichen Sektor, bei Software-as-a-Service oder bei der Produktzertifizierung (etwa im Medizin- oder Automotive-Bereich) spielt die Open Source Compliance eine zunehmend wichtige Rolle. Zertifizierungsstellen und Kunden achten genau darauf, ob und wie Unternehmen ihre Lizenzpflichten erfüllen.
Rechtliche Fallstricke bei Open Source Software
Open Source Software bietet Freiheit – aber keine grenzenlose. Der praktische Einsatz in Unternehmen wirft immer wieder komplexe Rechtsfragen auf, bei denen es nicht mehr nur um das richtige Lizenzverständnis geht, sondern um strategische Weichenstellungen im Unternehmen. Gerade Copyleft-Lizenzen wie die GPL, die rechtliche Einordnung von Beiträgen Dritter und die internen Abläufe beim Umgang mit Open Source verlangen mehr als nur technisches Know-how.
Copyleft und Open Source Compliance
Ein besonders sensibler Bereich ist die Weitergabe von Software, die unter sogenannten Copyleft-Lizenzen steht – allen voran der GNU General Public License (GPL) und ihren Varianten. Der Grundmechanismus ist bekannt: Wer eine Software nutzt, verändert und weiterverbreitet, verpflichtet sich, auch die abgeleiteten Werke unter derselben Lizenz – und damit mitsamt Quellcode – zugänglich zu machen.
Diese Verpflichtung trifft nicht nur klassische Distributoren von Softwarepaketen, sondern etwa auch Anbieter von Embedded-Systemen, die Linux-Komponenten einsetzen, oder SaaS-Anbieter, wenn man etwa an die AGPL denkt.
Wie scharf das Schwert des Copyleft wirken kann, zeigt sich in der Rechtsprechung, etwa in den von dir aufgearbeiteten Fällen zur Durchsetzung der GPL: Wird die Lizenz verletzt, beispielsweise weil der Quellcode nicht beigefügt wurde oder Hinweise auf die Lizenz fehlen, droht nicht nur eine Abmahnung, sondern auch der vollständige Lizenzverlust. Die Konsequenz ist gravierend: Eine vormals rechtmäßig genutzte Komponente wird zur urheberrechtswidrigen Nutzung – mit Unterlassungs- und Schadensersatzfolgen.
Für Unternehmen bedeutet das: Es braucht verlässliche interne Prozesse, die schon bei der Auswahl von OSS-Komponenten ansetzen, die Pflichten dokumentieren und bei der Auslieferung oder Bereitstellung konsequent umgesetzt werden. Open Source Compliance ist kein juristisches Feigenblatt, sondern eine Frage operativer Exzellenz – gerade bei Kundenprojekten, in der Lieferkette oder im Rahmen von Audits.
Bearbeitung, Miturheberschaft und Rechteklärung
Ein weiteres Spannungsfeld ergibt sich dort, wo Software bearbeitet oder weiterentwickelt wird. Die Frage, ob eine bloße Modifikation ein „abgeleitetes Werk“ darstellt oder eine eigenständige Schöpfung, ist juristisch keineswegs trivial. Maßgeblich ist, ob eine persönliche geistige Schöpfung des ursprünglichen Autors fortbesteht oder überlagert wird – ein Aspekt, den dein Blog unter anderem anhand von Entscheidungen des EuGH und des LG Düsseldorf prägnant aufgreift.
Besonders heikel wird es, wenn mehrere Personen gemeinsam an einem Projekt arbeiten – etwa im Rahmen eines Forks oder bei internen Teams. In solchen Fällen kann Miturheberschaft im Sinne des § 8 UrhG entstehen. Diese führt zu einer gesamthänderischen Bindung: Kein Beteiligter darf ohne Zustimmung der anderen über das Werk verfügen. Für Unternehmen kann das zur Blockade werden – etwa wenn ein ehemaliger Entwickler rückwirkend Ansprüche geltend macht.
Zwar kann die Miturheberschaft durch klare vertragliche Regelungen eingehegt werden. Doch in der Open Source Welt, wo häufig informell oder communitybasiert gearbeitet wird, besteht oft ein Graubereich. Wer Beiträge aus der Community übernimmt, ohne die urheberrechtliche Stellung des Beitragenden zu klären, läuft Gefahr, rechtlich angreifbare Software zu verbreiten. Gerade bei größeren Projekten empfiehlt sich daher ein Contributor License Agreement (CLA), das die Rechteübertragung sauber regelt.
Doppellizenzierung
Ein juristischer Sonderfall ist die sogenannte Doppellizenzierung – also die Vergabe derselben Software unter zwei unterschiedlichen Lizenzmodellen. Klassisch bekannt etwa durch MySQL, erlaubt sie einerseits die freie Nutzung unter einer Open Source Lizenz, andererseits die kommerzielle Lizenzierung zu anderen Konditionen.
Im deutschen Recht ist dies grundsätzlich möglich, wie auch in der Fachliteratur und in deinem Blogbeitrag zu sehen ist. Der Urheber bleibt Herr seiner Rechte und kann sie unterschiedlichen Lizenznehmern auf verschiedenen Wegen einräumen. Doch Vorsicht: Sobald weitere Miturheber beteiligt sind, wird die Sache kompliziert. Jeder von ihnen müsste der kommerziellen Lizenz zustimmen. Auch bei gemeinschaftlicher Entwicklung durch Mitarbeitende stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Einräumung entsprechender Rechte an den Arbeitgeber erfolgte.
Hinzu kommt die Gefahr der Verwirrung auf Seiten der Nutzer. Wenn etwa eine Open Source Version kursiert und parallel eine kostenpflichtige Fassung mit erweiterten Features angeboten wird, kann dies bei unklarer Kommunikation zu Missverständnissen führen – im schlimmsten Fall sogar zur unwirksamen Lizenzierung. Unternehmen sollten daher besonders deutlich machen, unter welchen Bedingungen welche Lizenz greift, und welche Pflichten sich jeweils ergeben.
Open Source im Arbeitsverhältnis
Viele Entwickler bringen sich nicht nur dienstlich, sondern auch privat in Open Source Projekte ein. Hier treffen arbeitsrechtliche und urheberrechtliche Fragestellungen aufeinander.
Grundsätzlich gilt: Wird Software im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erstellt, erwirbt der Arbeitgeber regelmäßig die Nutzungsrechte daran. Entscheidend ist jedoch, ob das Werk im Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichten entstanden ist – oder aus einer privaten Motivation heraus, etwa am Wochenende oder auf eigene Initiative. Hier sind die Grenzen fließend, und auch mit Blick auf mögliche Wettbewerbsverbote oder Loyalitätspflichten kann selbst ein „privates“ Projekt juristische Relevanz entfalten.
Werden etwa unternehmensinterne Komponenten – sei es wissentlich oder versehentlich – in ein Open Source Projekt eingestellt, kann das eine Offenlegungspflicht begründen, die mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen kollidiert. Umgekehrt kann ein Mitarbeiter, der Open Source Code unter GPL ins Unternehmen einbringt, unbeabsichtigt Copyleft-Pflichten aktivieren, ohne dass das Management davon weiß. Ein klarer Regelungskatalog im Arbeitsvertrag, flankiert durch interne Policies, schafft hier Sicherheit. Das umfasst sowohl das Verhältnis zur eigenen OSS-Nutzung wie auch zur Mitarbeit an fremden Projekten. Open Source ist Teamarbeit – auch rechtlich.

Was häufig als juristische Nebensache erscheint, kann bei unbedachtem Vorgehen massive rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Gerade in der Kombination mit betrieblicher Realität – von der Arbeitsteilung in agilen Entwicklungsteams über Auftragsverhältnisse bis hin zur Integration externer Module – entsteht ein komplexes Feld, in dem sich Missverständnisse rasch verselbständigen können.
Chancen nutzen, Risiken kennen
Open Source Software ist aus der modernen Softwareentwicklung nicht mehr wegzudenken – und das zu Recht. Die rechtlichen Fragen sind beherrschbar, wenn man sie ernst nimmt. Entscheidend ist ein Bewusstsein für die juristische Tragweite von Lizenzen, für die Herkunft des Codes und für die Pflichten bei der Weitergabe. Unternehmen, die hier proaktiv handeln und klare Prozesse etablieren, profitieren nicht nur von mehr Rechtssicherheit – sondern auch von Vertrauen bei Kunden, Partnern und der Community.
Am Ende ist es doch einfach: Open Source Software entfaltet ihr Potenzial nur dann rechtssicher, wenn rechtliche Fragen von Anfang an mitgedacht werden. Gerade an den Schnittstellen von Technik, Recht und Organisation – etwa bei Copyleft, Miturheberschaft oder im Arbeitsverhältnis – lauern Fallstricke, die mit einer fundierten Strategie vermeidbar sind. Unternehmen, die Open Source ernst nehmen, sollten Compliance nicht als Kontrolle begreifen, sondern als Voraussetzung dafür, Software nachhaltig, kooperativ und innovativ einsetzen zu können.
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