Der Generalanwalt beim EUGH konnte nun endlich seine Stellungnahme abgeben zu der Frage, ob eine Cheat-Software urheberrechtlich zulässig ist (EUGH, C‑159/23). Der Fall ist extrem spannend und wird deutliche Auswirkungen auf die Spielebranche haben.
Hintergrund des Falls
Die Klägerin, Sony Interactive Entertainment, ist exklusive Lizenznehmerin für die PlayStation-Konsolen in Europa und vertreibt unter anderem das Spiel „Motorstorm Arctic Edge“. Die Beklagten vertreiben Softwareprodukte wie „Action Replay PSP“ und „Tilt FX“, die zusammen mit den PlayStation-Konsolen verwendet werden.
Diese Software ermöglicht es den Nutzern, Variablen in den Spielen zu verändern, was das Spielerlebnis beeinflusst. Beispielsweise können Beschränkungen beim Einsatz von „Turbo“ aufgehoben werden. Sony sieht hierin eine unzulässige Umarbeitung ihrer Software und hat daher Klage erhoben. Die Sache lag vorher beim OLG Hamburg und sodann beim BGH.
Fragen zur Vorabentscheidung des EuGH
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
- Wird in den Schutzbereich eines Computerprogramms nach Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2009/24/EG eingegriffen, wenn ein anderes Programm den Inhalt von Variablen verändert, die das geschützte Computerprogramm im Arbeitsspeicher angelegt hat und im Ablauf des Programms verwendet werden?
- Liegt eine Umarbeitung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2009/24/EG vor, wenn ein gleichzeitig mit dem geschützten Computerprogramm ablaufendes anderes Programm den Inhalt von Variablen verändert?
Stellungnahme des Generalanwalts
Der Generalanwalt des EuGH nahm in seiner Stellungnahme vom 25.04.2024 Stellung zu diesen Fragen und empfahl Folgendes:
- Schutzbereich des Computerprogramms: Der Generalanwalt stellte fest, dass der Schutzbereich von Computerprogrammen im Sinne der Richtlinie 2009/24/EG auf den Quell- und Objektcode beschränkt ist.
Die bloße Änderung von Variablenwerten im Arbeitsspeicher durch ein anderes Programm greift nicht in diesen Schutzbereich ein. Die Funktionalität oder der Ablauf eines Programms sind nicht als Ausdrucksformen im Sinne des Urheberrechtsschutzes zu betrachten. - Umarbeitung: Eine Umarbeitung im Sinne der Richtlinie 2009/24/EG liegt nicht vor, wenn nur Variablenwerte im Arbeitsspeicher verändert werden, ohne dass der Quell- oder Objektcode des Programms selbst verändert wird. Die Umarbeitung bezieht sich auf Änderungen am Code selbst, nicht auf die Nutzungsergebnisse oder den Ablauf des Programms.
- Funktionalität und Schutzumfang: Der Generalanwalt betonte, dass die Richtlinie 2009/24/EG den Schutz von Computerprogrammen auf deren Ausdrucksformen, wie Quell- und Objektcode, beschränkt und nicht auf deren Funktionalität oder die durch den Programmablauf generierten Ergebnisse erweitert werden kann. Die Nutzung von Software zur Veränderung der Variablenwerte in einem Spiel stellt daher keinen Eingriff in die urheberrechtlich geschützten Rechte des Programmherstellers dar.
Zum Verständnis im Detail zum Überschreiben von Variablen
Nochmals zum Verständnis: es geht um die Frage, ob das Überschreiben von Variablenwerten im Arbeitsspeicher eines Computerprogramms durch ein anderes Programm eine Verletzung des Urheberrechts darstellt.
Werte von Variablen sind kein Bestandteil des Programmcodes
Der Generalanwalt führt aus, dass die Werte von Variablen lediglich Daten sind, die außerhalb des Codes liegen und erst während der Programmausführung erzeugt werden. Sie existieren weder zum Zeitpunkt der Erstellung des Programms durch den Urheber noch während des Ladens des Programms in den Computerspeicher. Daher sind sie nicht dazu geeignet, das Programm oder auch nur einen Teil davon zu vervielfältigen. Der Schutz nach der Richtlinie 2009/24/EG bezieht sich auf den Quell- und Objektcode eines Programms, da dieser die Vervielfältigung des Programms ermöglicht.
Werte der Variablen erfüllen nicht das Kriterium der Individualität
Ein weiterer zentraler Punkt des Generalanwalts ist, dass die Werte der Variablen keine eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstellen. Diese Werte sind das Ergebnis des Spielverlaufs und hängen von Faktoren ab, die der Urheber nicht vorhersehen kann, wie z.B. das Verhalten des Spielers. Der Urheber legt zwar die Kategorien von Variablen und die Regeln für deren Werte fest, aber die tatsächlichen Werte entziehen sich seiner kreativen Kontrolle. Daher können diese Werte keinen urheberrechtlichen Schutz genießen.
Vorübergehender Charakter der Variablenwerte
Der Generalanwalt betont, dass die Werte der Variablen nur vorübergehenden und temporären Charakter haben. Sie ändern sich während der Programmausführung und werden häufig bei der nächsten Ausführung des Programms zurückgesetzt. Um urheberrechtlich geschützt zu sein, muss ein Element mit ausreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbar sein. Die flüchtigen und sich ständig ändernden Werte von Variablen erfüllen diese Anforderung nicht, da sie von externen Faktoren wie den Handlungen der Nutzer abhängen.
Ausblick
Der Generalanwalt empfiehlt am Ende dem EuGH, die Fragen des BGH dahingehend zu beantworten, dass die bloße Veränderung von Variablenwerten im Arbeitsspeicher eines Computerprogramms nicht den Schutzbereich des Programms im Sinne der Richtlinie 2009/24/EG verletzt und keine Umarbeitung darstellt.
Diese Empfehlung stützt sich im Kern auf die enge Auslegung des Begriffs „Computerprogramm“ und den spezifischen Schutzumfang, der auf Quell- und Objektcode beschränkt ist. Die Empfehlung des Generalanwalts könnte damit am Ende die IT-Sicherheitsforschung erleichtern – da sie klarstellt, dass bestimmte Handlungen, wie das Testen und Verändern von Variablen im Speicher, nicht unter den urheberrechtlichen Schutz fallen. Dies ermöglicht Forschern in einem erweitertem Maße, Sicherheitslücken und Schwachstellen in Software zu analysieren und zu testen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen, denn was urheberrechtlich zulässig ist, ist strafrechtlich nicht zu unterbinden.
Wenn sich der EUGH dem anschließt, wird dies nicht nur auf Computerspiele, sondern auf Software insgesamt massive Auswirkungen haben: Man müsste sehr sauber unterscheiden, ob Programmcode oder lediglich Werte von Speichereinheiten (Variablen) verändert werden.
Letzteres wäre auf keinen Fall eine Urheberrechtsverletzung. Das ermöglicht den Zugriff von Cheat-Software auf Ergebnisse im Ablauf – aber auch von Sicherheitsforschern auf sonstige Software. Damit könnte die Analyse von IT-Forensikern und IT-Sicherheitsforschern zwar nicht abschließend, aber deutlich gestärkt werden. Etwa weil Buffer-Overflow basierte Analysen plötzlich eindeutig zulässig wären.
Aber: Spieleanbietern wird damit nicht das Recht genommen, virtuelle Hausverbote auszusprechen und Accounts zu sperren, wenn jemand beim Cheaten erwischt wird!
Eine Entscheidung mit dieser Richtung – und der EUGH folgt statistisch im Regelfall dem Generalanwalt – wird erhebliche Auswirkungen auf den Schutzumfang von Computerprogrammen und die Zulässigkeit von Cheat-Softwareprodukten haben.
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