D9204636 e10f 4663 b0f1 ee2b9273c3b1

EUGH zum Erfüllungsort im Softwarerecht: Zuständigkeitsfragen und europarechtliche Konsequenzen

Die Bestimmung des Erfüllungsorts spielt eine zentrale Rolle bei der Frage, welches Gericht für einen grenzüberschreitenden Vertrag zuständig ist. Gerade im Bereich des Softwarerechts, wo digitale Dienstleistungen oftmals länderübergreifend erbracht werden, führt die gerichtliche Zuständigkeit regelmäßig zu Streitigkeiten.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seiner Entscheidung vom 28. November 2024 in der Rechtssache C-526/23 (VariusSystems digital solutions GmbH gegen GR, Inhaberin des Unternehmens B & G) diese Problematik aufgegriffen und zur Auslegung von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b der Brüssel-Ia-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012) Stellung genommen.

Sachverhalt

In dem Fall hatte ein österreichisches Softwareunternehmen, die VariusSystems digital solutions GmbH, eine für eine deutsche Unternehmerin (GR, Inhaberin des Unternehmens B & G) entwickelte und angepasste Software bereitgestellt. Als Streit über die Zahlung der vereinbarten Vergütung entstand, stellte sich die Frage, welches Gericht für die Klage zuständig sei: das österreichische oder das deutsche? Entscheidend hierfür war die Frage nach dem Erfüllungsort der Dienstleistung, der gemäß Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich Brüssel-Ia-VO im Bereich der Dienstleistungsverträge maßgeblich für die Zuständigkeit ist.

Juristische Analyse zur örtlichen Zuständigkeit

Die Brüssel-Ia-Verordnung regelt die internationale Zuständigkeit von Gerichten innerhalb der Europäischen Union. Grundsätzlich sieht sie in Art. 4 Abs. 1 die Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaats des Beklagten vor. Eine Ausnahme dazu bildet Art. 7 Nr. 1, der bei vertraglichen Ansprüchen eine besondere Zuständigkeit am Erfüllungsort zulässt. Für Dienstleistungsverträge bestimmt Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich, dass der Erfüllungsort der Ort ist, an dem die Dienstleistung erbracht wurde oder hätte erbracht werden müssen.

In früheren Entscheidungen hat der EuGH klargestellt, dass für softwarebezogene Dienstleistungen zwischen reinen Lieferverträgen (z. B. Standardsoftware auf Datenträgern) und Dienstleistungsverträgen (z. B. Softwareanpassung oder Software-as-a-Service) zu unterscheiden ist. Der Erfüllungsort eines Dienstleistungsvertrags richtet sich danach, wo die Hauptleistung erbracht wurde. Im vorliegenden Fall war fraglich, ob die Softwareentwicklung und -anpassung am Sitz des Dienstleisters in Österreich oder am Bestimmungsort der Software in Deutschland als Erfüllungsort anzusehen sei.

Europarechtlicher Hintergrund und Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat in seiner Entscheidung betont, dass der Begriff des “Erfüllungsorts” für Softwaredienstleistungen funktionsorientiert auszulegen ist. Maßgeblich sei der Ort, an dem die charakteristische Leistung tatsächlich erbracht wird. Dies bedeutet:

  • Wenn eine individuell entwickelte und angepasste Software vorwiegend am Sitz des Dienstleisters programmiert und bereitgestellt wird, ist dieser Ort als Erfüllungsort anzusehen.
  • Hingegen kann sich der Erfüllungsort in das Land des Bestellers verlagern, wenn die wesentlichen Dienstleistungen dort erfolgen, etwa durch Vor-Ort-Installation, Wartung oder spezifische Anpassungen.

In diesem konkreten Fall entschied der EuGH, dass die Softwareentwicklung und -anpassung in Österreich als charakteristische Leistung zu werten sei, weshalb die österreichischen Gerichte zuständig seien.

Konsequenzen für Software-Anbieter

Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für die IT-Branche und Softwareanbieter innerhalb der EU.

  1. Rechtssicherheit bei Vertragsgestaltungen
    Unternehmen, die grenzüberschreitende Softwaredienstleistungen erbringen, sollten künftig vertraglich festlegen, wo der Erfüllungsort liegen soll, um Streitigkeiten über die Zuständigkeit zu vermeiden.
  2. Unterschiedliche Erfüllungsorte je nach Leistungstyp
    Softwareanbieter sollten differenzieren:
    • Standardsoftware-Verkauf → Erfüllungsort ist der Lieferort.
    • Individuell angepasste Software → Erfüllungsort ist regelmäßig der Sitz des Entwicklers.
    • Software-as-a-Service (SaaS) → Hier könnte der Erfüllungsort am Sitz des Kunden liegen, wenn die Hauptnutzung dort erfolgt.
  3. Prozessrisiken minimieren
    Unternehmen, die für Kunden in anderen EU-Staaten tätig sind, sollten sich bewusst sein, dass Klagen ggf. im Ausland anhängig gemacht werden können, falls der Erfüllungsort außerhalb des eigenen Sitzlandes liegt.

Ausblick

Die EuGH-Entscheidung zur örtlichen Zuständigkeit in Software-Dienstleistungsverträgen schafft Klarheit und stellt eine wichtige Weichenstellung für IT-Verträge in Europa dar. Sie verdeutlicht, dass der Erfüllungsort nicht automatisch beim Besteller der Software liegt, sondern sich danach bestimmt, wo die charakteristische Leistung der Softwareerstellung erfolgt. Softwareanbieter sollten ihre Vertragsgestaltung und AGBs anpassen, um unerwartete Prozessrisiken zu vermeiden.

IT-Fachanwalt, Ihr Rechtsanwalt für Softwarerecht bei sämtlichen Fragen rund um die Entwicklung und den Vertrieb von Software im professionellen Umfeld. Dazu auch das LinkedIn-Profil beachten!
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT-Recht)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT-Recht) (Alle anzeigen)

Veröffentlicht von

noreply

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT-Recht)

IT-Fachanwalt, Ihr Rechtsanwalt für Softwarerecht bei sämtlichen Fragen rund um die Entwicklung und den Vertrieb von Software im professionellen Umfeld. Dazu auch das LinkedIn-Profil beachten!