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EuGH-Entscheidung zum Softwarerecht: Auswirkungen auf öffentliche IT-Beschaffungen und den Softwaremarkt

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist von zentraler Bedeutung für die Regulierung des europäischen Binnenmarkts, insbesondere im Bereich des Vergaberechts und der Softwarelizenzen. In einem aktuellen Urteil befasste sich der EuGH mit der Frage, ob ein Vertrag zwischen zwei öffentlichen Auftraggebern über die kostenfreie Überlassung einer Software als entgeltlicher öffentlicher Auftrag einzustufen ist. Die Entscheidung ist speziell mit Blick auf die IT-Beschaffungspraxis öffentlicher Stellen und die Wettbewerbsbedingungen auf dem Softwaremarkt von Interesse.

Sachverhalt

Im Zentrum des Verfahrens steht die Stadt Köln, die von dem Land Berlin die Einsatzleitsoftware „IGNIS Plus“ kostenfrei erhalten hat. Die Software wurde ursprünglich von einem privaten IT-Dienstleister erworben. Parallel dazu schlossen die beiden Städte eine Kooperationsvereinbarung, in der sie sich zur Weiterentwicklung der Software und zur gegenseitigen Bereitstellung neuer Softwaremodule verpflichteten.

Ein privates Softwareunternehmen, die Informatikgesellschaft für Software-Entwicklung (ISE) mbH, sah in diesem Vorgehen eine Umgehung des Vergaberechts und reichte eine Beschwerde ein. Nach ihrer Ansicht stelle der Kooperationsvertrag einen entgeltlichen Vertrag dar, weil Köln zur Entwicklung und Bereitstellung neuer Module verpflichtet war, die wiederum Berlin kostenlos zur Verfügung gestellt wurden.

Die Vergabekammer Rheinland wies die Beschwerde zurück und argumentierte, dass es sich nicht um einen entgeltlichen Vertrag handele, da kein direkter finanzieller Austausch stattgefunden habe. ISE legte daraufhin Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein, das den Fall dem EuGH vorlegte.

Rechtliche Kernfragen

Der EuGH hatte insbesondere über folgende Fragen zu entscheiden:

  1. Definition eines entgeltlichen Vertrags im Vergaberecht: Ist eine vertragliche Verpflichtung zur Bereitstellung und Entwicklung von Softwaremodulen als Gegenleistung im Sinne eines öffentlichen Auftrags anzusehen?
  2. Unterschied zwischen einem öffentlichen Auftrag und einer interkommunalen Zusammenarbeit: Inwiefern kann die Kooperation zwischen zwei öffentlichen Auftraggebern als Ausnahme vom Vergaberecht gelten?
  3. Wettbewerbsrechtliche Auswirkungen: Inwieweit werden private Unternehmen durch solche Kooperationsmodelle benachteiligt?

Entscheidung des EuGH

Der EuGH stellte klar, dass der Begriff des „entgeltlichen Vertrags“ weit auszulegen ist. Eine unmittelbare finanzielle Gegenleistung sei nicht zwingend erforderlich, wenn eine synallagmatische Verpflichtung bestehe – also eine gegenseitige Verknüpfung von Leistungen, auch wenn diese nicht in Geld besteht.

In diesem Fall stellte die Stadt Köln ihre Weiterentwicklungen der Software kostenlos zur Verfügung. Der wirtschaftliche Vorteil lag jedoch darin, dass beide Städte durch die Kooperation Kosten für externe Softwarelösungen sparten und langfristig von der gemeinsamen Entwicklung profitierten. Damit sei das Kriterium der Entgeltlichkeit erfüllt.

Zudem stellte der EuGH fest, dass das Vergaberecht dann nicht greife, wenn die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen auf einem echten Kooperationsverhältnis beruhe und nicht primär darauf abziele, Wettbewerber auszuschließen. Hier sah der Gerichtshof jedoch erhebliche Zweifel, da die Regelungen so gestaltet waren, dass Dritte keinen Zugang zur Softwareentwicklung hatten.

Auswirkungen der Entscheidung

1. Relevanz für die öffentliche IT-Beschaffung

Das Urteil hat direkte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie öffentliche Stellen IT-Projekte gestalten. Bisher wurden viele Softwarelösungen zwischen Behörden kostenlos weitergegeben, um Kosten zu sparen und Synergieeffekte zu nutzen. Nach der EuGH-Entscheidung müssen öffentliche Auftraggeber nun genau prüfen, ob eine solche Kooperation nicht doch eine versteckte Gegenleistung enthält, die eine Ausschreibungspflicht auslöst.

2. Wettbewerbsrechtliche Implikationen

Private Softwareunternehmen werden durch solche Kooperationen häufig benachteiligt, da öffentliche Stellen ihre Lösungen intern weiterentwickeln, ohne Ausschreibungen durchführen zu müssen. Der EuGH hat klargestellt, dass dies nur unter bestimmten Bedingungen zulässig ist. Damit stärkt das Urteil den Wettbewerb auf dem Markt für Softwarelösungen.

3. Rechtliche Unsicherheiten bei Open-Source-Software

Ein besonders interessanter Aspekt ist die mögliche Übertragung dieser Rechtsprechung auf Open-Source-Software. Viele Behörden setzen Open-Source-Lösungen ein und entwickeln sie intern weiter. Die Frage, ob diese Weitergabe als entgeltlicher Vertrag im Sinne des Vergaberechts gewertet werden könnte, bleibt offen. Behörden müssen daher künftig noch stärker darauf achten, wie sie solche Kooperationen gestalten, um vergaberechtliche Risiken zu vermeiden.

Öffentliche Auftraggeber müssen mit Blick auf diese Entscheidung genau prüfen, ob ihre Kooperationen tatsächlich unter die vergaberechtlichen Ausnahmen fallen oder ob eine Ausschreibung erforderlich ist. Die Entscheidung zeigt zudem, dass der EuGH zunehmend Wert darauf legt, dass der Softwaremarkt offen und wettbewerbsfreundlich bleibt. In der Tat wird ein klares Signal für mehr Transparenz und Chancengleichheit im digitalen Sektor gegeben.

Fazit

Die EuGH-Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die IT-Beschaffungspraxis und die Vergabe öffentlicher Softwareprojekte. Während interkommunale Kooperationen weiterhin möglich sind, müssen sie so gestaltet werden, dass sie nicht zu versteckten Wettbewerbsvorteilen für öffentliche Stellen gegenüber privaten Anbietern führen.

IT-Fachanwalt, Ihr Rechtsanwalt für Softwarerecht bei sämtlichen Fragen rund um die Entwicklung und den Vertrieb von Software im professionellen Umfeld. Dazu auch das LinkedIn-Profil beachten!
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT-Recht)
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