Eine Umfrage des BITKOM ergab, dass 71 Prozent befragter Unternehmen (ab 20 Mitarbeiter) Opensource-Software nutzen. Dabei sind 67 Prozent „interessiert und aufgeschlossen“ sowie ein weiteres Viertel noch unentschieden – jedenfalls gerade mal 7 % sehen sich „grundsätzlich kritisch oder ablehnend“. Und dies war nicht die einzige Analyse im September 2021.
EU-Studie zu Opensource-Software
Ein wenig unbeachtet hat die EU eine Studie über „die Auswirkungen von Open-Source-Software (OSS) und -Hardware auf technologische Unabhängigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation in der EU-Wirtschaft“ veröffentlicht. Das fast 400 Seiten starke Papier bringt verschiedene, teils auch sehr überraschende, Ergebnisse zu Tage.
Die europäische Kommission sieht als wichtigsten Durchbruch der Studie die Einstufung von Open Source als öffentliches Gut. Dies zeigt für die Kommission einen Paradigmenwechsel gegenüber dem früheren unüberbrückbaren Unterschied zwischen Closed und Open Source und deutet auf eine neue Ära hin, in der digitale Unternehmen mit Hilfe von Open-Source-Assets aufgebaut werden. Diese Informationen sind für die Entwicklung politischer Maßnahmen in diesem Bereich von wesentlicher Bedeutung. Die Studie bewertet auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Open-Source-Engagements auf die EU-Wirtschaft.
Wirtschaftliche Erkenntnisse zu Opensource
Unter den Ergebnissen, die mir nach dem Lesen besonders ins Auge fielen, waren die wirtschaftlichen Erkenntniss:
- Die Verbindung zwischen OSS und Innovation, gemessen an verschiedenen Indikatoren, ist eher schwach. Die häufigen marginalen Beiträge zum OSS-Code als eine Form der inkrementellen Innovation lassen sich nur schwer mit radikalen Innovationen in Verbindung bringen, die z. B. für die Erteilung von Patenten erforderlich sind.
- OSS ist jedoch eine treibende Kraft für Neugründungen in der Informationstechnologie. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Modells von Wright et al. (2020), das mehr als 180 Länder abdeckt, führt eine 10 %ige Steigerung der Commits auf GitHub durch die EU-Mitgliedstaaten zu fast eintausend zusätzlichen Neugründungen in der Informationstechnologie in der EU.
- Schließlich kann kein robuster positiver Einfluss von Beiträgen zu OSS auf die Beschäftigung im Allgemeinen und in der IT im Besonderen beobachtet werden, was sich durch den ambivalenten Effekt von OSS erklären lässt, nicht nur zusätzliche Einnahmen zu generieren, die zusätzliche Mitarbeiter erfordern, sondern auch eigene Softwareentwickler einzusparen.
- Insgesamt lässt sich anhand der Ergebnisse feststellen, dass OSS das Wachstum vor allem durch positive Auswirkungen auf Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit vorantreibt.
- Die Beziehung zwischen OSS und Innovation ist jedoch eher zwiespältig, mit Ausnahme der von Wright et al. (2020) festgestellten positiven Auswirkungen auf die Gründung von Start-ups. Schließlich ist OSS nicht unbedingt eine direkte Triebkraft für die Erhöhung der Beschäftigung, sondern nur indirekt über positive Produktivitäts- und schließlich Wettbewerbsfähigkeitseffekte.
Motivation für den Einsatz von Opensource-Software
Fasst man die Bewertung der zahlreichen Nutzendimensionen zusammen, so stehen mit der Studie offene Standards, die Interoperabilität und Kompatibilität sicherstellen, gefolgt von mehreren Vorteilen, die direkt oder indirekt zu Kosteneinsparungen beitragen, ganz oben auf der Liste der Vorteile. Sicherheits- und qualitätsbezogene Aspekte werden zwar immer noch als mittel, aber nicht mehr so hoch bewertet, während die Befragten der von Geiger (2017) zusammengefassten GitHub-Umfrage die höhere Sicherheit von OSS im Vergleich zu proprietärer Software hervorheben.
Schließlich ist die Nutzung und der Beitrag zu OSSH zur Generierung zusätzlicher Einnahmemöglichkeiten oder des Marktzugangs für die antwortende Organisation weniger als ein mittlerer Nutzen. Dieses allgemeine Muster muss im Zusammenhang mit der Gesamtbewertung der Auswirkungen von OSS betrachtet werden.
Zu beachten ist auch, dass mit Ausnahme des Vorteils der Kostenersparnis einige Unterschiede zwischen der Rangfolge der Vorteile in unserer Stakeholder-Befragung und der Rangfolge der Vorteile in der BITKOM-Befragung bestehen, die sich auch durch die heterogenen sektorspezifischen Bewertungen erklären lassen.
Empfehlungen der OSS-Studie 2021
Die Studie kommt kommt zu dem Ergebnis, dass ein öffentliches Unterstützen von Opensource -Software sinnvoll ist. Dazu führt man aus:
„In Anlehnung an das Konzept des Marktversagens zeigen unsere empirischen Ergebnisse, dass OSS die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes (Eghbal 2016) oder Gemeinguts (Tirole und Rendall 2017) hat, das signifikante positive wirtschaftliche Externalitäten erzeugt, d. h. Beiträge von 0,4 % bis 0,6 % zum BIP in der EU. Da darüber hinaus eine gewisse Stagnation bei den Beiträgen auf GitHub zu beobachten ist, was jüngst von Dorner et al. (2020), aber auch von der Umfrage von Nagle et al. (2020) bestätigt und von einigen Interviewpartnern im Rahmen der Fallstudien geäußert wurde, besteht ein noch größerer Druck, die Entwicklung von OSS-Code weiterhin öffentlich zu unterstützen und nicht nur die erst entstehenden Aktivitäten im Bereich OSS.“ (siehe auf Seite 314).
Insgesamt führt die Studie aus, man soll OSS als Teil der öffentlichen Infrastruktur verstehen und entsprechend ausbauen sowie fördern. Darüber hinaus geht man auf Entwicklungen wie Open Source Hardware ein und sieht durch OSS eine Stärkung der Ansprüche an die Erfordernisse der Digitalisierung in allen Bereichen.
Fazit: Unterschätzte EU-Studie
Soweit ich das sehe, ist bis zum heutigen Datum diese umfangreiche EU-Studie medial kaum beachtet worden – was auch daran liegen mag, dass man sie vollständig lesen muss, die Autoren haben (leider) keine zusammenfassende Übersicht ihrer Thesen erstellt, was sicherlich ein erheblicher Fehler war im Hinblick auf die zu wünschende mediale Verbreitung.
Dabei ist diese Studie, im Auftrag der EU-Kommission, ein Meilenstein, der erhebliche Auswirkungen auf die Software-Politik der EU haben wird! Die Einstufung von OSS als öffentliches Gut, also als Teil der Infrastruktur, sowie die Bewertung, dass staatliche Einflussnahme auf den OSS-Sektor ebenso sinnvoll wie wünschenswert ist, wird deutliche Auswirkungen auf die Politik der EU-Kommission haben.
Unternehmen sollten OSS-Konzept haben
Aus meiner Sicht waren die Erkenntnisse aus der Studie überfällig – dabei sollte man von der Ambivalenz der Wirkungen von OSS nicht überrascht sein: Dass hier zum einen Ressourcen eingespart werden, andererseits wirtschaftliche Impulse und zusätzliche Arbeitskräfte entstehen, ist so neu nicht. Ähnliches beobachtet man generell bei neuen Technologien, die am Ende Ausdruck einer Transformation des Marktes und der Gesellschaft sind, mithin gerade nicht ein „Plus“ sondern eine veränderte Welt samt verändertem Markt schaffen.
Unternehmen, gerade KMU, sollten sich hierauf dringend einstellen. Während die BITKOM-Umfrage zeigt, dass viele Unternehmen ab 20 Mitarbeitern die Zeichen der Zeit erkannt haben, werden gerade die ganz kleinen Unternehmen abgehängt: Opensource-Software kann mehr Sicherheit und niedrigeren Pflegeaufwand der eigenen IT-Infrastruktur bedeuten (natürlich nicht niedrigeren Wartungsaufwand).
Zudem muss man sich zusätzlicher Aufgaben bewusst sein, insbesondere die Lizenz-Compliance muss stimmen; Softwareschmieden etwa sollten genau nachhalten, welche OSS für eigene Entwicklungen genutzt wird, die Lizenzen dokumentieren und ein Gesamtkonzept für die eigene Lizenz entwickeln. Meine Tätigkeit in dem Bereich – als Anwalt wird man ja gerne am Ende und nicht am Anfang dazu gerufen – zeigt, dass nach gewisser Zeit die Arbeit riesig werden kann (vor allem wenn die eigenen Entwickler so gut wie gar nicht dokumentieren).
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