In seinem Beschluss vom 10. Dezember 2024 (Az.: 17 A 4454/23) hat das Verwaltungsgericht Hannover eine zentrale Frage des Personalvertretungsrechts entschieden: Wer ist bei der Einführung einer neuen Software mitbestimmungsberechtigt? Konkret ging es um die Software „FOLIO/ERM“, die in wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes Niedersachsen eingeführt werden sollte. Der Hauptpersonalrat des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK) beanspruchte ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Ausgestaltung der Software.
Das Gericht wies diesen Anspruch zurück und stellte fest, dass nicht die übergeordnete Stufenvertretung, sondern die örtlichen Personalräte der betroffenen Bibliotheken zuständig sind. Damit wurde eine bedeutsame Weichenstellung zur Kompetenzverteilung im Personalvertretungsrecht getroffen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob eine zentrale Softwareeinführung durch ein Ministerium automatisch die Zuständigkeit des Hauptpersonalrats begründet.
Sachverhalt
Der Hauptpersonalrat des MWK begehrte in einem personalvertretungsrechtlichen Verfahren, die Einführung der Bibliothekssoftware FOLIO/ERM rückgängig zu machen bzw. zu unterlassen, bis ein Mitbestimmungsverfahren durchgeführt wird. Zudem verlangte er umfangreiche Auskünfte zur Datenverarbeitung durch die Software.
Die neue Software sollte das bestehende Lokale Bibliothekssystem (LBS4) ablösen und wurde als Open-Source-Lösung von der Verbundzentrale Göttingen (VZG) mitentwickelt. Während das Ministerium die Einführung der Software als freiwillige Entscheidung der einzelnen Bibliotheken darstellte, argumentierte der Hauptpersonalrat, dass es sich faktisch um eine zentral gesteuerte Maßnahme handele.
Das Ministerium verwies darauf, dass jede Bibliothek selbst entscheide, ob sie die neue Software einführe. Auch das VG Hannover kam zu dem Schluss, dass das „Ob“ der Softwareeinführung nicht auf Ministeriumsebene entschieden werde, sondern auf Ebene der einzelnen Bibliotheken. Daher sei allein der örtliche Personalrat mitbestimmungsberechtigt.
Rechtliche Würdigung
1. Beteiligungszuständigkeit und Mitbestimmungsrecht nach dem NPersVG
Im Zentrum des Falls stand die Frage, ob der Hauptpersonalrat des Ministeriums nach § 79 Abs. 2 des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes (NPersVG) zur Mitbestimmung berechtigt ist. Diese Regelung besagt, dass die Stufenvertretung nur dann mitbestimmen kann, wenn die maßgebliche Entscheidung bei der obersten Dienstbehörde liegt.
Das Gericht stellte klar, dass sich die Entscheidungsbefugnis über die Einführung der Software nicht beim Ministerium, sondern bei den einzelnen Bibliotheken befindet. Da diese autonom über die Implementierung entscheiden, liegt das Mitbestimmungsrecht folglich nicht beim Hauptpersonalrat, sondern bei den jeweiligen örtlichen Personalräten der Bibliotheken.
2. Unterscheidung zwischen „Ob“ und „Wie“ der Einführung
Eine wesentliche Argumentationslinie des Hauptpersonalrats war, dass die einzelnen Bibliotheken faktisch keine Wahlfreiheit hätten. Zwar sei die Einführung der Software formal freiwillig, praktisch bestehe aber ein Anschlusszwang, weil eine Nichtteilnahme erhebliche Nachteile mit sich bringe.
Das VG Hannover stellte jedoch fest, dass es bei der Mitbestimmungszuständigkeit primär auf das „Ob“ der Einführung ankommt. Da jede Bibliothek selbst entscheiden kann, ob sie die Software einsetzt, liegt die maßgebliche Entscheidung nicht beim Ministerium. Das „Wie“ der Nutzung – also etwaige Vorgaben zur technischen Umsetzung – könne keine eigene Beteiligungszuständigkeit der Stufenvertretung begründen.
3. Datenschutzrechtliche Aspekte und Verhaltens- und Leistungskontrolle
Der Hauptpersonalrat hatte außerdem argumentiert, dass die Software FOLIO/ERM eine technische Einrichtung sei, die zur Verhaltens- und Leistungskontrolle der Beschäftigten geeignet sei, weshalb nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 NPersVG ein Mitbestimmungsrecht bestehe.
Das VG Hannover ließ die Frage offen, ob ein solches Mitbestimmungsrecht überhaupt gegeben sei. Es stellte aber klar, dass auch in diesem Fall die örtlichen Personalräte zuständig wären. Eine Zuständigkeit der Stufenvertretung könne nicht aus einem etwaigen Mitbestimmungsrecht bei technischen Überwachungseinrichtungen abgeleitet werden.
Zudem verlangte der Hauptpersonalrat umfangreiche Informationen über die Verarbeitung von Beschäftigtendaten durch die neue Software. Das Gericht lehnte diesen Antrag ab, da die Zuständigkeit für ein etwaiges Mitbestimmungsrecht bei den örtlichen Personalräten liegt und damit auch ein darauf gestützter Informationsanspruch nicht beim Hauptpersonalrat geltend gemacht werden kann.
Folgen der Entscheidung
Mit seinem Beschluss hat das VG Hannover eine klare Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten örtlicher Personalräte und der Stufenvertretung vorgenommen. Das Urteil betont die dezentrale Entscheidungsstruktur im öffentlichen Dienst und stellt sicher, dass Mitbestimmungsrechte dort wahrgenommen werden, wo die maßgeblichen Entscheidungen getroffen werden.
Dies hat mehrere praktische Konsequenzen:
- Ministerien und andere übergeordnete Behörden können nicht pauschal zur Mitbestimmung herangezogen werden, wenn die Einführung einer Software letztlich auf lokaler Ebene entschieden wird.
- Örtliche Personalräte tragen die Verantwortung für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten bei der Einführung neuer Technologien und müssen sich aktiv mit den Auswirkungen solcher Systeme auseinandersetzen.
- Datenschutzrechtliche Fragen, insbesondere im Zusammenhang mit möglichen Überwachungsfunktionen, müssen auf lokaler Ebene geprüft und mit den jeweiligen Personalvertretungen abgestimmt werden.
Besonders bedeutsam ist die Differenzierung zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ einer Maßnahme. Auch wenn technische Rahmenbedingungen zentral vorgegeben sein mögen, bleibt das Mitbestimmungsrecht bei der Einführung einer Software grundsätzlich bei derjenigen Ebene, die über das „Ob“ entscheidet.

Die Entscheidung stärkt die Rolle der örtlichen Personalräte und schärft die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen verschiedenen Ebenen der Personalvertretung. Die Entscheidung hat damit nicht nur Auswirkungen auf den konkreten Fall der Bibliothekssoftware, sondern auch auf zukünftige Streitfälle im Bereich der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes.
Fazit
Die Entscheidung des VG Hannover stellt eine richtungsweisende Klärung zur Beteiligungszuständigkeit im Personalvertretungsrecht dar. Sie unterstreicht, dass eine Stufenvertretung nicht allein durch die zentrale Vorgabe technischer Rahmenbedingungen ein Mitbestimmungsrecht erhält. Vielmehr bleibt die Zuständigkeit dort verankert, wo die konkrete Entscheidung über eine Maßnahme getroffen wird.
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